Stadtrundgang am 9. November und Publikation erinnern an jüdische Geschichte

"Eines Tages war auch Toni Richter aus Fürstenberg verschwunden."

Fürstenberg/Havel war lange Zeit eines der jüdischen Zentren in der Region. Heute sind viele Orte und Geschichten der Gemeinde vergessen. Am 9. November 1938 wurden die letzten jüdischen Bewohnerinnen Fürstenbergs angegriffen, bald darauf erklärte sich die Stadt für „judenfrei“. Um an die vielfältige jüdische Geschichte der Stadt und die Verfolgung zu erinnern, lädt der Verein Context. Bausteine für historische und politische Bildung e.V. am 9. November 2019 zu einem Stadtrundgang ein. Die Tour beginnt um 14 Uhr am Fürstenberger Marktplatz. Gegen 16 Uhr besteht am ehemaligen jüdischen Friedhof die Möglichkeit individuell zu gedenken.

Der Verein stellt mit der Veranstaltung erstmals die Publikation „Was bleibt? Spuren jüdischer Geschichte in Fürstenberg/Havel“ vor. Die Handreichung erinnert an die Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Fürstenberg im Nationalsozialismus. Während der Novemberpogrome wütete eine aufgebrachte Menschenmenge vor der Villa der Familie Hamburger und zertrümmerte die Fensterscheiben. Der jüdische Friedhof wurde im Nationalsozialismus völlig zerstört. Erinnert wird auch an das Schicksal von Toni Richter, die vermutlich letzte Jüdin, die in Fürstenberg lebte – zuletzt völlig zurückgezogen und in großer Angst vor der Deportation. Sie starb 1942 in Theresienstadt.

Ortschronist Wolfgang Stegemann wird in der Publikation zitiert: „Mir ist Toni Richter noch aus Kindheitstagen in schwacher Erinnerung, wie sie mit dem gelben Judenstern gekennzeichnet sich verschüchtert in der Nähe der Bäckerei Schmidt in der Baalenseestraße aufhielt und wartete, bis die Luft rein war und die Bäckersfrau sie hereinwinkte, um ihr heimlich Brot in die Tasche zu stecken. Eines Tages war auch Toni Richter aus Fürstenberg verschwunden.“ Die Recherchen von Stegemann und anderen Engagierten legten eine wichtigen Grundstein für die 48-seitige Heft zur jüdischen Geschichte Fürstenbergs. „Lange war dieses Kapitel der Stadtgeschichte aus dem öffentlichen Gedächtnis gerückt. Diese Broschüre schließt daher eine große Leerstelle“, heißt es im Vorwort von Bürgermeister Robert Philipp, der die Publikation unterstützt und an der Veranstaltung am 9. November teilnehmen wird: „Es ist an uns, an das vielfältige jüdische Leben in der Stadt zu erinnern.“

Im 19. Jahrhundert lebten zeitweise bis zu 300 Jüdinnen und Juden in der Stadt an der Havel. Das Gemeindeleben war lebendig und akzeptiert. Christliche und jüdische Kinder lernten gemeinsam in der Stadtschule, aber auch eine jüdische Schule gab es in Fürstenberg. Direkt im Ortskern befand sich die Synagoge, aufwändig restauriert unter Hofbaumeister Friedrich Wilhelm Buttel, der auch die Stadtkirche erbaute. Im Stadtbild erinnert daran nichts. Heute ist am Ort ein Supermarkt-Parkplatz, die Inneneinrichtung der Synagoge verschollen. Die alte jüdische Geschichte der Stadt, die ihren Anfang mit der Ansiedlung von Juden im 18. Jahrhundert nahm, zeichnet das Heft anhand von historischen Orten und überlieferten Lebensgeschichten nach.

Für die Publikation suchten die Mitglieder von Context e.V. vor Ort in Fürstenberg, in Bibliotheken und Archiven nach Informationen zur jüdischen Geschichte. Unterstützt wurde das Projekt von der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und zahlreichen Einzelpersonen. Jugendliche aus Fürstenberg begaben sich mit einer Fahrradtour auf die Spuren jüdischen Lebens und beteiligten sich mit einem Foto-Workshop an dem Projekt. Gefördert wurde das Projekt von der Szloma-Albam-Stiftung und der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Oberhavel im Bundesprogramm Demokratie leben!

Die Publikation kann postalisch über den Bildungsverein bezogen werden: info@context-verein.de